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Unsere wahre Natur
Unterweisung von Meister Roland Yuno Rech, Sesshin in der Grube Louise, Okt. 2006

Samstag, Mondo

Frage: Wenn die Welt abhängig vom Entstehen ist, wenn alles wechselseitig abhängig ist, was ist dann die Rolle des Subjekts? Wo ist die Verbindung zwischen dem, das vor fünf Jahren Zazen gemacht hat und aussieht wie ich, das jetzt Zazen macht und aussieht wie ich und und voraussichtlich in fünf Jahren Zazen macht?

Roland Rech: Selbst wenn du dich in jedem Augenblick aufgrund der wechselseitigen Abhängigkeit veränderst, gibt es ein Gedächtnis. Zum Beispiel erinnerst du dich an deine vergangenen Erfahrungen. Wenn du dich an vergangene Erfahrungen erinnerst, ist das, was du heute bist, anders. Folglich ändert sich auch deine Sichtweise auf die Vergangenheit. Es gibt kein festes Ego, kein festes Subjekt, aber es gibt einen Fluss, eine Verbindung zwischen den unterschiedlichen Erfahrungen: das Gedächtnis, auch wenn dieses Gedächtnis nicht beständig ist. Es transformiert sich ebenfalls aber nicht völlig.

Wer abends einschläft und am nächsten Morgen aufwacht, ist nicht mehr genau dieselbe Person wie am Abend, nicht genau dasselbe Subjekt aber auch nicht jemand ganz anderes. Das Subjekt verändert sich, das Ego verändert sich. Man kann nicht sagen, dass es immer unveränderlich existiert. Zum Glück übrigens. Da wir uns die meiste Zeit über in Illusionen befinden, würde es sonst bedeuten, dass wir nicht erwachen könnten. Zum Glück wandelt sich das Subjekt. Wenn wir es vom absoluten Standpunkt aus betrachten, ist das Subjekt eine Folge von dharmischen Positionen. Dieser Punkt hier ist eine Kreuzung, einige Augenblicke später ist der Punkt hier. Er hängt von den Verflechtungen ab. Dieses Netz der Wechselbeziehungen schafft eine Situation, die das Subjekt, das Ego bedingt. Wenn sich bei diesen Beziehungen etwas ändert, ändert sich auch das Ego. Aber es ändert sich nicht alles gleichzeitig. In unserem Körper sterben zum Beispiel jede Sekunde Tausende von Zellen und tausend neuen Zellen entstehen. Auch im Gehirn ändert es sich ständig. Aber es ändert sich nicht alles auf einmal. Es gibt da eine Kontinuität.

F.: Bleibt da nicht mehr als eine Erinnerung? Es ist nicht die Erinnerung, die bewirkt, dass ich morgen wieder Zazen praktiziere.

R.R.: Es gibt nicht nur Erinnerungen. Da sind die fünf Aggregate, die fünf Bestandteile, die eine Person bilden: Körper, Wahrnehmungen, Empfindungen und so weiter. Im Aggregat der geistigen Erzeugnisse gibt es nicht nur Erinnerungen, da hast du Recht. Die Erinnerungen sind das Band zur Vergangenheit. Bodai shin, der Geist des Erwachens, ist zum Beispiel Teil des vierten Aggregats. Aber der Geist des Erwachens ändert sich ebenfalls. Ich merke, dass mein heutiger Geist des Erwachens nicht der gleiche ist wie vor zweiunddreißig Jahren, aber es ist immer noch der Geist des Erwachens. Er nimmt andere Formen an.

Es ist eine sehr heikle Frage, eine große Frage des Buddhismus. Wenn es keine feste Substanz gibt, gibt es kein atman für das Ego. Was besteht also fort? Was fortbesteht, ist die wechselseitige Abhängigkeit, und in ihr ändert sich nicht alles auf einmal. Die Veränderung ist progressiv. Wenn du heute ein Foto von dir als Baby betrachtest, ähnelt es dir kaum noch. Es gibt große Unterschiede. Aber du heute und du vor einer Woche, ihr seid fast gleich.
Warum stellst du diese Frage? Was beschäftigt dich?

F.: Auch wenn alles aus Bedingtheit entsteht, kann es in einer kosmischen Weisheit auch zufällig sein. Ich spüre in mir einen Antrieb, um Zazen zu machen. Etwas sagt, mach das. Es ist schwer auszudrücken.

R.R.: Ich glaube nicht, dass es eine kosmische Weisheit gibt, eine äußere Willenskraft, die uns sagt, was zu tun ist. Keine Person oder kein Geist sagt uns, du musst dies oder jenes tun. Natürlich kannst du glauben was du willst, aber ich glaube nicht daran. Aber ich glaube an eine kosmische Ordnung, die man Dharma nennt, das heißt die Wirklichkeit, so wie sie ist, die nach ihren Gesetzen funktioniert. Wir werden angetrieben, diese Wirklichkeit, so wie sie ist, zu verstehen, anzuerkennen und uns mit ihr zu harmonisieren. Tun wir es nicht, werden wir leiden. Es ist das Bedürfnis, uns mit der Wirklichkeit zu harmonisieren, das uns antreibt. Wenn wir nicht mit ihr in Einklang kommen, sind wir im Ungleichgewicht und das ist schmerzhaft. Die Weisheit, das Streben uns mit der kosmischen Ordnung zu harmonisieren, ist in uns, weil wir wahrnehmen, dass sie ganz einfach der Schlüssel zum Glück ist. Wenn wir nicht dahin kommen, werden wir immer unglücklich, ängstlich, besorgt und hoffnungslos sein. Ausgehend von Berührungen mit der kosmischen Ordnung suchen wir nach Weisheit. Die kosmische Ordnung funktioniert ja auch in uns. Wir sind ein Teil der kosmischen Ordnung. Daraus entsteht das Bedürfnis, uns selbst zu erkennen.

 

Frage: Bei einem Mondo in der Gendronnière hast du gesagt, dass es zwei Methoden gäbe, um sich zu befreien. Die erste, die oft unterwiesen wird, ist der Weg der Konzentration und der Beobachtung, des Loslassens. Von der zweiten Methode hast du gesagt, dass sie viel tiefer wäre. Es ginge dabei nicht um das Loslassen sondern um das direkte Sehen von dem was ist und um das Erkennen, dass die Illusionen und Anhaftungen nicht wirklich wichtig sind. Was ist dieses Ich, das etwas will? Verstehe ich es richtig, dass man in der Praxis mit der ersten Methode beginnt und die zweite dann folgt?

R.R.: Ja, bei der zweiten Methode handelt es sich um eine Intuition, die aus der Praxis heraus ensteht, die aber direkter und tiefgehender ist. Es geht hierbei in etwa um den Unterschied, den man traditionell im Zen zwischen dem plötzlichen und dem stufenweisen Erwachen macht.

F.: Geht es um die beiden berühmten Gedichten aus dem Podium-Sutra?

R.R.: Das Gedicht von Jinshu ist vor allem eine Rechtfertigung der Konzentration, die hilft, die Gedanken vorbeiziehen zu lassen. Nicht an Illusionen haften, so wie man Staub wegfegt oder den Spiegel abstaubt. Enos Art ist direkt und intuitiv. Ihm geht es darum zu sehen, dass es keinen substanziellen Staub, keinen substanziellen Spiegel gibt. Jinshu positioniert sich in der relativen Wirklichkeit, in der Wirklichkeit der Phänomene. Wir leben alle in ihr, sie ist wichtig. Aber Eno begibt sich auf eine radikale Position. Was ist das überhaupt, dieser Staub? Was ist dieser Spiegel? Und der Sinn des Staubs, des Spiegels ist nichts. In diesem Fall gibt es keinen Staub, der wegzufegen ist und auch keinen Spiegel.

Frage: Gehört das nicht zur Beobachtung?

R.R.: Ja schon, aber zu einer tiefen Beobachtung.

 

Frage: Vor ein paar Tagen hatte ich ein Gespräch mit einer Lehrerin, mit der ich während eines Seminars ab und zu Zazen gemacht hatte. Es gefiel ihr gut, so dass sie weiter Zazen alleine zu Hause machte. Ich schlug ihr vor, mit auf ein Sesshin oder ins Dojo zu gehen. Sie lehnte ab, weil sie Probleme mit Sekten hatte. Ich versuchte zu argumentieren, dass wir keine Sekte sind, aber sie blieb auf ihrem Standpunkt. Weil wir in der Schule waren, griff sie zu einem Lexikon …

R.R.: … und da stand drin: Zen gleich Sekte. In Frankreich ist das so: Zen ist eine buddhistische Sekte.

F.: Bei uns ging es in der Diskussion eher darum, was eine Sekte ist. Ich sagte ihr, dass das, was wir machen, ganz nah an dem ist, was Buddha gelehrt hatte. Weil aber Zen aus Japan kommt, blieb sie bei ihrer Meinung. Kannst du mir helfen, gute Argumente zu finden?

R.R.: Dogen lehnte den Begriff „Zen-Sekte“ völlig ab, obwohl er der Gründer der Soto-Zen-Sekte war. Aber er sagte: „Nein, ich gründe überhaupt keine Soto-Sekte. Ich unterweise den ursprünglichen Sinn des Buddha-Weges, butsudo.“ Im Buddhismus gibt es viele Sekten mit vielen Veränderungen der ursprünglichen Lehre. Aber der Gründer unserer Schule schlug vor, zu Buddhas ursprünglicher Erfahrung zurückzukehren. Er selbst hatte sie erfahren. Zen ist die verwirklichte Bemühung, zur Quelle von Buddhas Unterweisung zurückzukehren, um eben Verformungen, die von unterschiedlichen buddhistischen Sekten ausgehen, zu vermeiden. So ist es historisch gesehen.

Aber natürlich hat Zen seine Methoden und seine Pädagogik entwickelt und ist auch zu einer Art Sekte geworden, aber nicht im abwertenden Sinn. Seit etwa dreißig, vierzig Jahren ist das Wort „Sekte“ negativ behaftet aus Gründen, die ihr alle kennt. Es gibt falsche Meister, falsche Gurus, die das spirituelle Streben der Menschen ausnutzen, die Irrlehren unterweisen, zumindest wenn sie daraus persönlich profitieren und Leute ausnehmen. Aus diesem Grund sagt man, Sekten wären gefährlich. Aber ursprünglich bedeutet Sekte ein Zweig. Da gibt es eine Quelle und verschiedene Verzweigungen. In der Tat gibt es in allen Religionen Sekten, auch im Islam und im Christentum. Das ist so. Schlimm ist das heutige fanatische Phänomen, wenn Menschen durch falsche Meister oder falsche Lehren ausgenutzt werden. Daher wird das Wort Sekte heute sehr abwertend betrachtet.
Weil dem so ist, müssen wir uns bei derartigen Beschuldigungen verteidigen. Wir sind eine Schule des Buddhismus, deren Merkmal es ist, zu Buddhas ursprünglicher Erfahrung zurückzukehren, indem wir dieselbe Meditation wie er praktizieren und uns wirklich auf sie konzentrieren anstatt auf Glaubensvorstellungen, Dogmen und so weiter.

 

Frage: Meine Frage bezieht sich auf die Gedichte mit dem Spiegel und dem Staub. Eno war doch eine Küchenhilfe, was eine schwere Arbeit ist. Hat er vielleicht gedacht, dass er durch die Arbeit so viel lernen konnte, um zu erkennen, was wirklich wichtig ist im Leben?

R.R.: Eno war schon erwacht, bevor er in den Tempel kam. Er erwachte, als er den berühmten Satz aus dem Diamant-Sutra hörte. Er inspirierte ihn zu seinem Gedicht. "Wenn der Geist nirgends verweilt, zeigt sich der wahre Geist." Er hatte bereits das Verständnis des leeren Spiegels. Der Geist verweilt nirgends, es gibt keinen Ort, an dem der Geist verweilen könnte. Und der Geist ist nicht greifbar. Das hatte er schon vorher verstanden. Als er Konin begegnete, gab es ein Mondo, bei dem Konin verstand, dass Eno bereits erwacht war. Es war nicht die Arbeit in der Küche, die ihn erweckte. Die Küchenarbeit war für ihn eine Gelegenheit, sein Verständnis, seine Praxis zu vertiefen.

 

Frage: Ich habe manchmal Schwierigkeiten mich zu konzentrieren, um die Sprache richtig zu verstehen. Wenn ich einen Text höre, nehme ich ihn oft nur als Musik wahr und habe manchmal am Ende den Inhalt nicht verstanden. Wie finde ich die richtige Mitte?

R.R.: Zuerst finde ich deine Art und Weise sehr interessant und sehr gut. Oft finde ich die Musik der Stimme von jemandem interessanter als den Inhalt seiner Worte. Die Musik der Stimme drückt mehr über jemanden aus als das, was er sagt.
Ich bin Therapeut, und wenn mir jemand was erzählt, dann höre ich nach einiger Zeit nicht mehr darauf, was er sagt, ich höre nur auf den Klang. Es ist viel interessanter und offenbart mehr über den Zustand der Person als Worte.
Im Zusammenhang mit der Zen-Unterweisung ist aber das Dharma wichtig. Der Klang der Stimme des Unterweisenden, wenn er ein Kusen hält, lehrt dir vielleicht etwas über seinen Zustand aber nichts über das Dharma. Vielleicht solltest du dich eher auf das Lesen konzentrieren.
Was den Kontakt mit Menschen angeht, bekommst du, wenn du nur Musik wahrnimmst, Probleme mit der Kommunikation. Die Leute werden sich beklagen, dass du nicht zuhörst, dass du sie nicht verstehst. Idealerweise hörst du den Worten zu und nimmst gleichzeitig die Musik wahr. Die Musik sagt mehr darüber aus, was die Person sagen will. Da kannst du deine Intuition entwickeln und vielleicht besser kommunizieren.

 

Frage: Du sagtest, dass wir uns beim Zazen selber erfahren, selber kennenlernen. Dann hieß es, dieses Selbst ist identisch mit der Buddha-Natur, was bedeuten würde, dass dein Selbst nicht von meinem Selbst verschieden ist. Enthält ein Selbst nicht etwas Individuelles?

R.R.: Oberflächlich ja. Die Oberfläche des Selbst ist unterschiedlich. Aber man kann sagen, dass die wahre Natur des Selbst die gleiche ist. Deine Wesenszüge unterscheiden sich von meinen. Du hast ein anderes Karma, eine andere Geschichte als ich. Du bist eine Frau, ich bin ein Mann. Da gibt es viele Unterschiede.
Aber wenn wir in der Zazen-Praxis beginnen, uns selbst kennenzulernen, schauen wir nicht nur auf unsere Unterschiede, unsere Besonderheiten sondern auf die Essenz unserer Existenz. Es geht nicht darum, wie ich bin, welche Art von Person ich bin, das ist nicht das Selbst. Man kann auf die Frage nach dem Sein nicht antworten: Ich bin eine Person, die so und so ist, mit dieser und jener Idee, mit den Werten, den Empfindungen. Das beantwortet die Frage nicht. Es ist die Beschreibung des Egos, der Persönlichkeit, die ganz offensichtlich anders ist. Was man unter Selbst versteht, hängt von den Philosophien, den Religionen ab. Im Zen jedenfalls ist es das, was die Essenz meiner Existenz bildet. Letztlich ist das Selbst im Zen das Nicht-Selbst, das heißt Nicht-Substanz. Es ist das Gleiche bei dir, bei mir, bei den Bäumen, dem Himmel, bei allen Existenzen.