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Funktionsweisen des Geistes
Unterweisung von Meister Roland Yuno Rech, Sesshin in der Grube Louise, Okt. 2008

Samstag, Mondo

Frage: Ich stelle fest, dass heutzutage mehr und mehr Menschen depressiv und deprimiert sind. Was kann ich für sie tun? Wenn ich ihnen meine Ansicht darlege, habe ich den Eindruck, dass sie mich eher für einen Erleuchteten halten, als dass sie mich ernstnehmen.

Roland Rech: Was erzählst du ihnen?

Frage: Was Zen einem bringt. Wobei Zen mir hilft. Aber ich habe den Eindruck, dass das nicht funktioniert.

R.R.: Das ist genau eine Eigenschaft der Depression. Der wirklich Deprimierte glaubt, dass bei ihm nichts funktionieren kann. Genau das ist die Depression, daher ist es nicht verwunderlich. Es ist sehr schwierig, einem Deprimierten zu helfen.
Ich weiß nicht, was ich dir sagen kann. Wenn ich an Depressionen denke, gibt es alle Arten von Ursachen. Es gibt Depressionen, bei denen die biologischen Faktoren eine sehr große Rolle spielen. Sie sind besonders schwierig und gehören zum Bereich der Psychiatrie, wo man die richtige Medikamentendosis finden muss, um die Fehlfunktion der Neurotransmitter im Gehirn zu heilen. Es gibt auch Depressionen, die eher von Phänomenen des Daseins verursacht werden, von Trennungen, Trauer, von allen Arten von Verlust. Für diese Depressionen ist die Zen-Unterweisung eher geeignet, denn wenn man Zazen macht, versetzt man sich selber in die Lage, alles aufzugeben und nichts zu ergreifen. Ein Deprimierter ist deprimiert, weil ihm alles entgleitet. Er schafft es nicht, etwas zu halten.

Zazen praktizieren heißt, sich in eine Situation zu begeben, in der Depressionen für uns zu einer Quelle der Befreiung werden können, weil die Zazen-Praxis uns ermöglicht, tief als höchste Wahrheit zu akzeptieren, dass wir die Objekte unserer Anhaftungen nicht behalten, nicht aufheben können. Gleichzeitig können wir durch Zazen eine Dimension des Lebens wahrnehmen, in der wir weniger von diesen Objekten abhängig sind. Wir lernen eine Seinsweise, in der wir unabhängiger sind von dem, was wir haben oder nicht. Nach einem Verlust sind wir dadurch weniger anfällig für Depressionen.

Ich denke, Buddhas Ausgangspunkt war eine schlimme depressive Krise, als er feststellte, dass alles unbeständig ist und wie universell und unvermeidlich das Leiden ist: Krankheit, Alter, Tod, Verlust. Dieses Merkmal der Unbeständigkeit, mujo, die Tatsache, dass wir zwangsweise mit Verlusten konfrontiert werden, war ein Schock, der durch die Praxis des Weges bodai shin auslöste, den Geist, der eine Auflösung dieses Leidens sucht. Selbst wenn Buddha es später auf andere Weise ausgedrückte, war sein Erwachen im Grunde das Erkennen des Wesentlichen der Existenz: der Existenz, die ohne jede Trennung ist, die jenseits von dem ist, das Dualität zwischen Subjekt und Objekt erzeugt, zwischen mir und meinen Besitztümern, jenseits davon, dass ein Ego sich vom Rest trennen muss, um sich zu konstruieren, dass es sich unterscheiden muss und damit einen Teil der Wirklichkeit ausschaltet. Gezwungenermaßen lebt das Ich in einem steten Mangelzustand, weil es sich konstruiert, indem es alles verwirft, was nicht Ich ist. Das heißt, es verwirft das ganze Universum mit Ausnahme dieses Hautsacks, von dem es glaubt, es zu besitzen. Das Ego lebt daher gezwungenermaßen in Armut, mit einem Mangelgefühl, mit Frust, weil es sich von allem abgesondert hat.

Auf dieser Basis ist die menschliche Existenz mit einem Ego, das sich auf diese Weise gebildet hat, anfällig für Depressionen. Sie ist zerbrechlich, weil der Verlust, nicht mehr mit dem Ganzen in Einheit zu sein, grundlegend ist. Er ist deprimierend, weil er uns nicht entspricht. Im Grunde sind wir eins, haben uns aber ein falsches Ich, ein falsches Ego aufgebaut, indem wir uns als besonders, als anders betrachten. In dieser Ego-Konstruktion gibt es etwas Künstliches, das nicht der Wirklichkeit der kosmischen Ordnung entspricht. Sie entspricht einer relativen Wirklichkeit, die man nicht als relativ ansieht. Man neigt dazu, sie als absolut zu betrachten. Da ist unser Irrtum, der uns immer wieder an die Grenze zur Depression bringt, in ein unstabiles Gleichgewicht.

Es gibt Menschen, denen es gelingt, sich einen großen Teil ihres Lebens etwas vorzumachen. Sie hängen an allen möglichen Dingen und erhalten sie aufrecht, weil sie ein verlockendes Ziel darstellen. Diese Menschen sagen sich ständig: „Wenn ich das erlange, werde ich zufrieden sein.“ Es ist eine Art permanente Bewegung, die einem hilft zu vermeiden, sich in diesem abgetrennten, entwurzelten Leben mit etwas Deprimierendem zu konfrontieren. Daher kommt die Zerbrechlichkeit.
Die Zazen-Praxis jedoch, oder der Buddhismus im Allgemeinen, taucht in die Mitte, ins Herz dieses Problems und stellt die Sichtweise völlig auf den Kopf. Es ist für mich die radikale Lösung. Was für die meisten Menschen ein Verlust ist, ist für Buddha oder für einen Mönchen die totale Befreiung. Es ist eine völlige Umkehrung der Werte. Es steht dermaßen im Gegensatz zur gewöhnlichen Funktionsweise des Geistes, in der man vom Ego konditioniert wird, so dass diese Perspektive fast unerhört ist, eine Revolution. Aber ich glaube, es ist keine gute Methode, davon zu reden. Es ist besser, den Leuten vorzuschlagen, die Erfahrung der Praxis zu machen und ihnen nicht vom Buddhismus und von dem, was ich gerade gesagt habe, zu erzählen. Man kann ihnen einfach sagen, dass da etwas ist, was ihnen gut tun könnte. Setz dich in aller Ruhe hin

Frage: Ich versuche sie zum Sitzen zu bringen, damit sie es ausprobieren können. Ich zeige ihnen, wie man atmet.

R.R.: Meiner Meinung nach ist es das Beste, was man tun kann. Aber es ist nicht sicher, ob es ausreicht. Es kann als eine Art mentaler Hygiene genügen, als Vorbeugung einer künftigen Depression, die sich ankündigt. Aber wenn jemand mittendrin ist, muss er geheilt werden. Denn eine Depression, selbst wenn sie psychologischen Ursprungs ist, beeinträchtigt erheblich die Funktionsweise des Gehirns. Der Geist hat Auswirkungen auf den Körper. Die Neurotransmitter werden dabei im Hirn beeinträchtigt, was durch Medikamente aufgefangen werden muss.

Tu dein Bestes aber zögere nicht, den Leuten vorzuschlagen, einen Therapeuten aufzusuchen. Menschen, die am Rand einer Depression stehen ohne dies zugeben zu wollen, wissen nicht, wie sie sich helfen lassen können. Sie haben Angst, ihren Zustand anzuerkennen und versuchen, das Bild von Normalität aufrechtzuerhalten. Sie trauen sich nicht, jemanden aufzusuchen, weil dies bedeuten würde, ihr Versagen, in dem sie sich befinden, einzugestehen, um ihren anfänglichen Irrtum auszugleichen. Das betrifft Menschen, die am Rand einer Depression stehen.
Diejenigen, die mittendrin sind, wissen, dass sie deprimiert sind, aber sie glauben, dass nichts und niemand ihnen helfen kann. Das ist noch schwieriger. Sie benötigen Unterstützung, Begleitung, Ermutigung und einen guten Therapeuten.

 

Frage: Anknüpfend an die vorherige Frage, wie man Menschen helfen kann, möchte ich aus eigener Erfahrung heraus sagen, dass die Natur sehr helfen kann. Es ist auch gut, den Menschen nahe zu bringen, sich von der Natur helfen zu lassen.

R.R.: Was passiert gerade bei dir? Warum bist du so aufgewühlt?

Frage: Ich sehe, dass die Natur immer mehr zerstört wird. Du weißt, dass ich in der Natur arbeite, und ich sehe immer öfter, dass die Menschen aus egoistischen Gründen die Natur zerstören. Dabei weiß ich, dass die Natur gerade denen helfen kann, die psychisch krank sind. Überhaupt ist die Natur die Basis von allem, aber die Menschen wissen sie nicht zu schätzen. Die Natur ist auch ein großer Lehrmeister, auch im Zen. Ich weiß, dass die Zazen-Praxis das Beste für den Menschen ist, aber man muss in die Natur gehen, man muss sie sich anschauen. Alle Konzepte helfen überhaupt nicht, wenn die Menschen keinen Kontakt zur Natur haben. Ich sehe, dass die Medien uns verrückt machen, und ich glaube, das ist auch der Grund, weshalb Menschen in Depressionen verfallen. Sie verlieren den Kontakt zur Natur.

R.R.: Sie verlieren nicht nur den Kontakt zur Natur, den Bäumen, den Bergen, den Flüssen, sondern auch zu ihrer eigenen Natur. Beides gehört zusammen. Versuche, deine Liebe zur Natur und deine Begeisterung zu teilen. Es gibt ohnehin viele Dinge, die gut für den Menschen sind und die der Mensch nicht kennt und erkennt. Diejenigen, die dazu erwacht sind, können ihre Erfahrung mit den anderen teilen.
Aber es lohnt sich nicht, selber darüber krank zu werden und deswegen so empfindsam zu sein. Ich habe vorhin gesehen, dass du traurig bist. Traurigkeit ist kein gutes Gefühl. Wut kann manchmal positive Effekte haben. Sie kann Energien erzeugen, um etwas in Bewegung zu bringen. Aber bleibe nicht nur bei diesen Gefühlen. Versuche, etwas Konstruktives vorzuschlagen. Entwerfe ein Programm über die Entdeckung der Natur, „Zen und Natur“. Man kann es über das Internet kommunizieren. Manche Leute suchen genau das und finden es über das Internet. Zum Beispiel kannst du schreiben: „An alle Deprimierten: die Natur kann euch helfen.“ Das wäre interessant.
Wenn die Leute aber wirklich krank sind, wird es schwierig. Dann haben sie ein wirkliches Problem und sollten sich behandeln lassen. Ich denke, die beste Vorbeugung gegen psychische Krankheiten und besonders gegen Depressionen ist, ein gesundes Leben in Kontakt mit der Natur zu führen, mit der äußeren wie mit der eigenen Natur. Aber wenn man erst mal davon betroffen ist, reicht es nicht unbedingt aus, dann muss man sich behandeln lassen.

 

Frage: Was bedeutet Gehorsam im Zen-Kontext?

R.R.: Gehorsam gehört nicht zu den Regeln, die die Mönche befolgen sollen. Alle anderen Mönche einer Gemeinschaft, zum Beispiel die Benediktinermönche, legen ein Gelübde des Gehorsams ab, die buddhistischen Mönche nicht.
Natürlich muss man die Regeln der Gemeinschaft befolgen, aber es gibt keine Vorschrift des Gehorsams einem Übergeordneten gegenüber. Aber man muss sich mit der Gemeinschaft harmonisieren, das ist klar. Zen und der Buddhismus im Allgemeinen rufen ganz selten zur autoritären Erziehung auf. Es wird an das Verständnis appelliert, das ist der Unterschied. Aber natürlich hat jede Gemeinschaft Regeln, die man befolgen muss. Hier gibt es aber keine, die zum Gehorsam einer Person gegenüber auffordern. Ein Abt in einem Kloster ist zum Beispiel ein spiritueller Leiter, der den Praktizierenden in seiner Gemeinschaft hilft, aber er fordert von seinen Schülern keinen Gehorsam. Warum stellst du diese Frage?

Frage: Dieses Wort tauchte auf einmal in meinem Kopf auf, vielleicht weil ich den Eindruck habe, dass es in der Sangha eine sehr starke Hierarchie gibt.

R.R.: Eigentlich nicht so sehr. Es gibt eine Hierarchie, die aber nichts mit einer militärischen Hierarchie zu tun hat, wo jeder seinem Vorgesetzten gehorchen muss. In einem Dojo gibt es unterschiedliche Aufgaben, da spielt jeder seine Rolle, genauso wie ein Musiker in einem Orchester seine Partition spielt. Der Shusso nimmt eine Aufgabe wahr, der Ino nimmt seine Aufgabe wahr und auch der Tanto. Aber das sind eher Aufgaben, die helfen, dass alles gut abläuft, um die Leute bei ihrer Praxis zu unterstützen. Dann hängt es vom Charakter jedes einzelnen ab. Wenn jemand eine Aufgabe bekommt, kann er sie vielleicht auf autoritäre Weise ausführen. Er kann dazu neigen, vom anderen Gehorsam zu verlangen und Dinge durchzusetzen, aber das ist eine Frage des persönlichen Stils. Es ist nicht der Zen-Geist. Im Zen-Geist erklärt man, was man macht, warum man es so macht und man lädt die anderen ein, es auch so zu tun.

Niemand ist verpflichtet, in ein Zen-Dojo oder in einen Tempel zu gehen. Jeder kommt aus freien Stücken her, niemand wird dazu gezwungen, ein Sesshin zu machen. Aber wenn er kommt, muss er sich natürlich mit dem Ablauf hier harmonisieren. Das versteht sich von selbst. Ich denke, dass das Problem von Autorität und Gehorsamkeit kaum eine Rolle spielt. Es wird sicherlich empfohlen, den Unterweisenden oder den Älteren Respekt entgegen zu bringen, aber gleichzeitig muss dieser Respekt begründet und verdient sein. Wenn eine Person eine bestimmte Stellung hat, heißt das nicht, dass man sie automatisch respektieren muss. Sie muss auch durch ihr Verhalten dafür sorgen, dass man sie respektiert.

In der Küche gibt es zum Beispiel viele Dinge zu tun. Wenn der Tenzo, also der Koch, seinem Helfer sagt, er soll den Topf auf den Herd stellen, weil es Zeit ist, mit dem Kochen anzufangen, und dieser widerspricht, weil er nicht einverstanden ist, dann kann es nicht funktionieren. In diesem Sinne gibt es durchaus eine gewisse Autorität. Die Helfer müssen gehorchen, weil es ansonsten nicht funktioniert. Aber es gibt nicht diese sogenannte heilbringende Autorität, der man sich unterwirft, weil es gut für das eigene Ego ist. Manche benutzen dieses Argument, wenn sie Gehorsam fordern, es gehört aber nicht zum Geist der Zen-Unterweisung. In der Geschichte des Zen gab es in den Beziehungen zwischen Meistern und Schülern eher Unverschämtheiten als Unterwerfung und Autorität.

 

Frage: Am Anfang eines jeden Sesshins, nach der ersten Zeremonie, gibt es mindestens eine Anfängerin, die mich fragt, warum wir nur die Namen der Patriarchen singen. Die Antwort ist klar: weil sie zu unserer Tradition gehören, die nun mal männlich ist. Aber jedes Mal hat die Anfängerin ein komisches Gefühl. Sie findet es schade, was ich verstehe.

R.R.: Das ist ganz einfach. Es liegt an der Tatsache, dass Zen in unserer Tradition von Mann zu Mann weitergegeben wurde, weil Männer und Frauen in den Klöstern getrennt lebten. Aber es gibt auch weibliche Traditionen. Unsere Tradition ist männlich, weil die Mönche mit ihrem Meister praktiziert haben, der gezwungenermaßen ein Mann war. Ein Mann konnte keiner Meisterin folgen. Dies hat sich erst seit ein- bis eineinhalb Jahrhunderten geändert. Heute sieht man Zen-Meisterinnen, die Schüler haben und das Dharma und das Shiho weitergeben. Das hat sich vermischt. In einigen Jahren werden wir weibliche Traditionen haben, was bisher aufgrund dieser Trennung nicht möglich war.
Nun könnte man auch sagen, es gab keine Zen-Meisterinnen in der Tradition, weil sie nicht die Fähigkeit besaßen, zu erwachen oder Zen zu verstehen wie die Männer. Hinsichtlich der Buddha-Natur oder der Fähigkeiten, wurde seit Buddha über Dogen zwischen Mann und Frau kein Unterschied gemacht. Allerdings gibt es soziologische Realitäten. In den herkömmlichen Gesellschaften waren es meistens Männer, die sich aus der Welt zurückzogen, um sich auf die Meditation zu konzentrieren.

Frage.: Es gibt doch alte Meisterinnen.

R.R.: Ja, Meister Dogen hält im Kapitel Raihai Tokuzui des Shobogenzo eine Lobrede auf große Nonnen, die Männer und sogar Zen-Meister ausgebildet haben. Dogen drückt dies klar in einem Kontext des mittelalterlichen Japan aus, das schon recht chauvinistisch war.
Prinzipiell gesehen gibt es keinen Grund, warum es in einer Tradition keine Zen-Meisterinnen geben sollte. Da die Gesellschaft sich im letzten Jahrhundert sehr verändert hat, werden sich die Dinge auch im Zen und im Buddhismus bewegen. Aber es bleiben wichtige Spuren. Zum Beispiel sind die Nonnen in Japan und im südostasiatischen Raum eigentlich den Männern eher gleichgestellt als im Katholizismus, wo es den Nonnen nicht erlaubt ist, die Messe zu lesen oder die Beichte abzunehmen. Katholische Nonnen leben in völliger Minderwertigkeit. Im Buddhismus ist dies viel weniger ausgeprägt aber trotzdem nicht ganz gleich. Heutzutage gibt es Bewegungen und Kämpfe für die Emanzipation der Nonnen, internationale Konferenzen werden zu diesem Thema gehalten. Da bewegt sich viel.

Frage: In unseren Zeremonien drücken wir viel aus, unter anderem was wir als Sangha sind. Ich frage mich, ob es sich nicht lohnt, das Eko neu zu verfassen mit Männern, Frauen, Mönchen, Nonnen, Laienschülern, nicht wie eine Tradition sondern eher wie ein Feld.

R.R.: Du könntest es vorbereiten und in deinem Dojo ausprobieren. Dann erzählst du von deinen Erfahrungen.

 

Frage: Unsere Gesellschaft ist sehr kompliziert. Hast du ein Gefühl dafür, was sich in einer Generation ändert?

R.R.: Die Frage würde ich lieber dir stellen. Du gehörst einer jüngeren und neueren Generation an als ich. Es würde mich sehr interessieren, von dir zu hören, was es Neues gibt. Ich habe ein paar kleine Dinge bemerkt, von denen ich gestern erzählt habe, glaube ich.
Meine Generation ist nicht jung. Ich bin 64 Jahre alt. In den Sechzigern und Siebzigern haben sich die Menschen zum Beispiel viele Gedanken über den Sinn des Lebens gemacht. Heutzutage stellen sich die meisten jungen Leute nicht einmal mehr diese Frage, sie wird völlig verdrängt. Diese Veränderung fällt mir auf. Man könnte sagen, bei der heutigen Jugend gibt es eine Art Resignation. Es begann in den achtziger Jahren, man nannte sie die gleichgültige Generation: auf diese Frage gibt es sowieso keine Antwort, also werden wir keine Zeit mit ihr verlieren. Man versuchte, sich in der Welt, wie sie eben war, sein Leben einzurichten. Man versuchte nicht, sie zu verändern oder sich zu ändern. Vielleicht versuchte man, sich weiterzuentwickeln, um den persönlichen Komfort zu verbessern und sich möglichst wohlzufühlen anstatt mit Unbehagen zu leben. Dann gab es den materialistischen Aspekt: Guthaben, gesellschaftlichen Erfolg. Manchmal geht es dabei gar nicht um gesellschaftlichen Erfolg sondern ums Überleben in einer schwierigen Welt.

Das ist nur mein ganz allgemeiner Eindruck, aber ich hätte gerne einen Beweis des Gegenteils. Auf jeden Fall interessiert mich das Thema. Natürlich sind die jungen Leute, denen ich begegne, etwas anders drauf, weil sie sich für Zen interessieren, aber sie gehören nicht zur Mehrheit. Diese Frage beschäftigt uns dermaßen, dass wir in diesem Sommer eine Projektgruppe ins Leben gerufen haben, die die Fragen der Jugend untersucht. Was wollen sie? Was suchen sie? Was interessiert sie am Weg, in der Spiritualität? Es würde mich interessieren, wenn du mir über das, was du empfindest, etwas schreiben möchtest. Was hältst du davon, hier und jetzt? Ich habe die meinen Eindruck geschildert, einen Eindruck.

Frage: Bereits in der Schule konnte ich den vorgegebenen Weg nicht akzeptieren. Es kamen Berufsberater, um neue Berufe vorzustellen. Aber unsere Antwort darauf war, Partys zu feiern, weil wir nichts damit zu tun haben wollten.

R.R.: Ja, nur dass die Partys nicht für alles eine Lösung sind. Während man feiert, kann man ein Problem vergessen, aber an einem bestimmten Moment wird man mit der Wirklichkeit konfrontiert.

Frage: Auf der anderen Seite gibt es die Zen-Sangha, es gibt Leute, die Körperarbeit machen…

R.R.: … und du fragst dich jetzt, ob du weiter feiern oder Zazen machen sollst? Dann komm zum Sommerlager, da machen wir Zazen und Party. Denke weiter über die Fragen nach und schreibe mir.