Samstag, 3. Zazen
Wie ihr wisst, sind die Vier Edlen Wahrheiten ein Eckpfeiler der Unterweisung Buddhas, die er unmittelbar nach seinem Erwachen verkündete. Das Leiden, die Ursache des Leidens, die Aufhebung des Leidens und der Weg, der dahin führt – der achtfache Pfad: heilsame Ansicht, heilsame Gedanken, heilsame Rede, heilsames Handels, heilsame Lebensführung, Anstrengung, Achtsamkeit und Konzentration. Man ist dann versucht zu denken, dass Leid durch Gier oder Verlangen verursacht ist, und dass dies aufgehoben werden kann, indem man dem achtfachen Pfad folgt. Man hat vielleicht so seine Zweifel, ob alles Leid und Übel tatsächlich in diesem Leben eliminiert werden können, aber es scheint ein erstrebenswertes Ideal zu sein. Es wird möglicherweise in uns ein Bild heraufbeschworen, in dem erwachte Buddhas und Arhats, oder im Mahayana erwachte Bodhisattvas, immer ruhig und glücklich verweilen.
Aber man sollte folgendes nicht vergessen: Es ist bekannt, dass der Buddha selber nicht dadurch erwachte, indem er dem achtfachen Pfad folgte – er fand den achtfachen Pfad, indem er erwachte.
Auch ist dieser achtfachte Pfad die Beschreibung eines idealen Lebens. Und wenn man einen solchen Pfad tatsächlich beschreitet, dann ist man sicherlich bereits erwacht. Das Leid ist nicht etwas, das überwunden oder gar ausgelöscht wird: Geburt, Krankheit, Alter und Tod, die Trennung von dem, was man liebt, die Begegnung mit dem Ungeliebten, Gewinn und Verlust – all dies ist unvermeidlich, ob man erwacht ist oder nicht. Solcherart war auch das Missverständnis des Bauern aus dem allerersten Kusen dieses Sesshin, der Shakyamuni aufsuchte, weil er dachte, dass ein erwachter Meister den Weg dahin aufzeigen könnte, all diese Probleme aus der Welt zu schaffen. Woraufhin Buddha ihm sagte: „Dein größtes Problem ist, einen solchen unmöglichen, unnatürlichen Zustand anzustreben.“
Und die zweite edle Wahrheit, Gier und Verlangen als Ursache des Leides, die kommt zusammen mit dem Leid auf und äußert sich in unserem Leben als eine bittersüße Mixtur von Emotion und Gefühlen. Die Art und Weise, wie gewöhnliche Wesen üblicherweise auf dieses sich Ergebende reagieren, führt oft zu noch mehr Leid, so wie wenn man z.B. seine Sorgen in Alkohol ertränkt. Wohingegen eine erwachte Person jedoch eine breitere Perspektive hat, in welcher er oder sie diese aufsteigende Energie unterbringen kann. Und nur in diesem Sinne ist es die Aufhebung des Leidens, und die Perspektive beruht auf Vertrauen, Einsicht und Übung.
Wenn die zwangläufig immer auftauchenden potenziellen Leidensenergien auf diese Art und Weise umgewandelt werden können, erträglicher werden, dann kann man von dieser Person mit Recht annehmen, dass er oder sie auf dem achtfachen Pfad wandelt.
Der Pfad ist daher nicht ein Weg zum Erwachen hin, sondern entstammt dem Erwachen. Shakyamuni ist nicht durch den Weg erwacht, sondern er ist zum Weg erwacht.
Und deshalb konnte Dogen sagen: „Das Erwachen hat keinen Beginn, und die Praxis hat kein Ende.“
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